1800 Liter Lebensweisheit oder: Warum ein Fisch aussieht wie dein Opa

Manchmal denkt man ja, man hätte in seinem Leben schon alles gesehen: Elefanten im Supermarkt, Politiker mit ehrlichen Antworten, oder einen funktionierenden Fahrstuhl im Amtshaus.
Aber dann landet man in NRW und betreut plötzlich ein Schaubecken im Naturkundemuseum.
Ja, ich weiß. Glamourös ist anders. Trotzdem – mein ganzer Stolz.

Es war ein Tanganjikabecken – 1800 Liter reinstes Wasser, gefüllt mit Frontosas, Julidochromis, Tropheus und einer Prise Größenwahn.
Ein Aquarium so groß, dass man zwischendurch mal das Gefühl hatte, gleich käme ein Taucher mit einem kleinen Snackwagen vorbeigeflogen.

Ich hatte die ehrenvolle Aufgabe, dafür zu sorgen, dass alles lief wie geschmiert: Technik, Wasserwerte, Fischlaune. Manchmal war’s nur eine kaputte Membranpumpe, manchmal musste ich einen Tropheus davon überzeugen, dass die Welt nicht untergeht, nur weil der HMF-Filter blubbert wie ein schlecht gelaunter Cappuccinoautomat.
Und manchmal, da musste man einfach nur mit einer Algenbürste rein und den Glasdschungel lichten.
Bauartbedingt stand das Becken direkt am Eingang – quasi Eyecatcher für jeden, der reinlief.
Ein „Willkommen in der faszinierenden Welt der Natur – und übrigens, ja, der Typ im Overall gehört zum Inventar.“

Das Besondere war: Die Wartung lief im normalen Betrieb. Keine Absperrung, kein „Bitte nicht stören“ – einfach rein ins Beckenleben, während drumherum Kinder schauten, als würden sie gleich Zeugen eines historischen Moments.
Manche Besucher blieben stehen, stellten Fragen:
„Wie heißt der Fisch?“
„Warum guckt der so grimmig?“
„Kann man den essen?“
Und ich stand da, tropfnass, und antwortete geduldig – während ich innerlich bereits den imaginären Pulitzerpreis für „höflich bleiben unter erschwerten Bedingungen“ entgegennahm.

Höhepunkt jedes Jahres: Die große Generalreinigung. Wasser ablassen, Filter auseinandernehmen, Biofilm abkratzen – und hoffen, dass keiner der Fische beschlossen hatte, spontan einen Fluchtversuch über meine Gummistiefel zu starten.
Danach roch ich wie ein Hafenarbeiter auf Abwegen, aber der Stolz – Leute, der Stolz! – der war da.
So wie andere Leute über ihre Bowlingpokale reden, schwärmte ich: „Guck mal, wie sauber mein Luftheber jetzt blubbert!“

Aber nichts, wirklich gar nichts, toppt folgende Szene:
Ein kleines Mädchen, etwa fünf Jahre alt, Hand in Hand mit ihrem Opa, bleibt vor dem Becken stehen.
Sie zeigt auf die größte Frontosa, diesen wirklich majestätischen, aber latent miesepetrigen Barsch, der so guckt, als hätte man ihm gerade das WLAN gelöscht.
Und dann ruft sie – mit einer Stimme, klar wie frisch gechlortes Aquariumwasser – quer durch die Eingangshalle:
„Opa! Guck mal! Der Fisch da… der sieht aus wie du! Genau SO grimmig guckst du auch immer!“

Stille.
Opa verstummt.
Frontosa verstummt.
Ich hab mich hinter einem HMF-Filter in die Horizontale gelegt und dort heimlich das komplette Lachkontingent meines Lebens aufgebraucht.

Seitdem weiß ich:
Manche Wahrheiten schwimmen einfach direkt an der Oberfläche.
Und die sind glitschiger als jeder Tropheus mit Montagmorgenlaune.

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